Redebeitrag zu intersektionalem und queerem Feminismus

Hallo zusammen,

ich spreche heute für die feministische Vernetzung Trier und im Rahmen des pride month zu intersektionalem und Queerfeminismus.

In unserem Alltag begegnen wir immer noch gesellschaftlich anerkannten und akzeptierten Annahmen darüber, wie wir leben und lieben sollen. Die Vorstellung, es gäbe nur zwei Geschlechter und entweder ist mensch männlich oder weiblich, ist nach wie vor weit verbreitet und bleibt oftmals unhinterfragt. Ebenso die Vorstellung, romantische und sexuelle Beziehungen dürfen nur zwischen einer Person des einen und einer Person des anderen Geschlechts existieren und nicht zwischen mehreren Menschen oder zwischen Menschen mit „dem gleichen“ Geschlecht. Diese Vorstellungen werden oft mit biologischen oder religiösen „Argumenten“ verteidigt, die behaupten, es wäre alles in Stein gemeißelt und alles, was davon abweicht, sei unnatürlich oder moralisch falsch.
Diese Art zu denken lässt nur ein „entweder – oder“ zu und hindert Menschen daran, sich selbst zu orientieren. Sie hindert uns daran, die Fragen: „wie will eigentlich ICH leben und lieben?“, „womit fühle ich mich wohl, mit welchem Geschlecht identifiziere ich mich oder will ich mich vielleicht gar nicht festlegen?“ und „wie können ich und andere Menschen frei über unsere Identität, unsere Körper und unsere Beziehungen denken, sprechen und entscheiden?“ intuitiv und selbstbestimmt zu beantworten, statt nur mit vorgefertigten Antwortmöglichkeiten.
Diese Vorstellungen lassen sich als patriarchale Konstrukte bezeichnen, das heißt: in einer von cis-Männern geprägten Gesellschaft, die sich an oberster Stelle sehen und denen ihre Fortpflanzung und Vererbung ihres Eigentums und ihrer Gene am wichtigsten sind, werden Formen von Leben und Lieben vorgeschrieben, die genau dazu da sind. Alternativen soll oder darf es nicht geben, denn die cis-Männer haben Angst, sie würden dadurch ihre Macht verlieren. Viele Menschen haben Angst vor Veränderung, sie fürchten sich davor, in der Vielfalt ihre Orientierung zu verlieren, dass auf einmal alles was sie glaubten, nicht mehr sicher ist. Deswegen verbreiten sie Hass und rechtfertigen ihre Gewalt damit, dass sie überzeugt sind, „ihre Sicherheit zu schützen“.
Was sie nicht sehen, ist, dass diese Art zu denken auch ihre eigene Freiheit einschränkt. Sie verpassen die Chancen, ihre Identität zu erforschen, sie verpassen die Möglichkeit, Menschen unabhängig ihres Geschlechts kennen und lieben zu lernen und sie verpassen die Gelegenheit, einen Wert außerhalb ihres materiellen Besitzes zu finden – den Wert der Solidarität und der Motivation, gemeinsam eine Welt ohne Gewalt und voller Gleichberechtigung zu schaffen. Queer heißt für uns, das Denken in „entweder – oder“ aufzulösen und Geschlecht und Identität als wandelbar und vielfältig zu begreifen.

Neben diesen Vorstellungen, die sich hauptsächlich mit Geschlecht und Identität beschäftigen, gibt es außerdem Vorstellungen darüber, welche Menschen am meisten Leistung erbringen können oder welche Menschen eher gegen Regeln und Gesetze verstoßen. Menschen werden wegen ihrer Körper und möglichen körperlichen Beeinträchtigungen be- und verurteilt, sie werden wegen ihrer Fähigkeiten in leistungsfähig oder produktiv und -unfähig oder unproduktiv eingeteilt. Andere Menschen werden wegen ihrer Hautfarbe oder Sprache häufiger abwertet, ihnen wird misstraut und sie erfahren mehr Diskriminierung und Gewalt in ihrem Arbeitsumfeld, in ihrem privaten Alltag oder auch durch die Polizei als Menschen mit weisser Haut. Dadurch, dass wir immer wieder in diesen Vorstellungen bleiben, verletzen wir andere Menschen. Wir geben ihnen und uns keine Chance, unsere Gemeinsamkeiten zu finden und die Einteilungen in „wir und die anderen“ aufzulösen.
Dass diese Vorstellungen so hartnäckig fortbestehen hat einen Zweck: Unsere Art zu wirtschaften und unsere Gesellschaft zu gestalten, dient einem vermeintlich immer anhaltenden Wachstum. Dieses Wachstum funktioniert allerdings nur, wenn dafür an anderer Stelle Natur und Menschen ausgebeutet, vertrieben, unterdrückt werden und das Wachstum sich letztendlich nicht als Wohlstand für alle sondern als Reichtum für wenige – historisch und auch heute noch hauptsächlich weisse cis-Männer – darstellt.
Damit dieser Reichtum bestehen bleibt, müssen alle, die nicht daran beteiligt sind, daran gehindert werden, sich zusammenzutun und für Gleichberechtigung zu kämpfen. Das klappt ganz gut, in dem alle, die nicht am Reichtum beteiligt sind, damit beschäftigt werden, sich untereinander abzuwerten und zu bekämpfen. Und je mehr Merkmale eines Menschen in die abgewertete Kategorie fallen, desto deutlicher spürt der Mensch die Ungerechtigkeit, den Hass und die Gewalt.
Zum Beispiel wird eine trans Person of Colour, die im Rollstuhl sitzt, aktuell seltenst die gleiche Chance auf einen Job als Managerin haben, wie ein schwuler weisser cis-Mann, der keine sichtbare körperliche Beeinträchtigung hat. Diese Mehrfachbetroffenheit muss berücksichtigt werden und muss sichtbar gemacht werden, aber darf nicht dazu führen, dass die beiden Personen aus dem Beispiel sich aufgrund ihrer Unterschiede nicht austauschen. Denn beide werden sicherlich auf ihre Weise schon oft erlebt haben, dass sie nicht den gesellschaftlich akzeptierten Vorstellungen entsprochen haben und deshalb ausgeschlossen wurden oder Gewalt erfahren haben.
Dass wir diese verschiedenen Formen der Diskriminierung mitdenken und zwar Unterschiede benennen, aber uns trotzdem zusammen für eine Veränderung der gesellschaftlichen Vorstellungen über Leben und Lieben einsetzen, damit alle die gleichen Rechte haben, die gleiche Chance auf Teilhabe haben und einfach gesagt: „alle von allen gleich behandelt werden“ – das nennen wir Intersektionalität.

Wir denken und leben Feminismus so: Es gibt jede Menge Menschen. Diese Menschen sind alle absolut verschieden. Sie haben unterschiedliche Augenfarben, sie sprechen unterschiedliche Sprachen, sie haben ganz viele verschiedene Lieblingsnachtische. Menschen haben unterschiedliche Hautfarben, Menschen haben unterschiedliche Geschlechter, Menschen haben unterschiedliche körperliche und kognitive Fähigkeiten. Der einzige Punkt, in dem sie sich nicht unterscheiden ist: Sie sind alle Menschen und ihre Vielfältigkeit ist kein Grund, sie unterschiedlich zu behandeln. Deshalb ist unser erklärtes Ziel die Gleichberechtigung aller Menschen in allen Bereichen!

Sei wer du bist! Liebe und lebe, wie du es willst! Schließ dich mit anderen Menschen zusammen, damit wir nicht länger alleine und gegeneinander, sondern gemeinsam und solidarisch gegen eine Gesellschaft und ein Wirtschaftssystem rebellieren, welche unsere Vielfältigkeit ausnutzen, um uns alle in unserer Freiheit und unserem Recht auf ein gutes Leben, mit gesicherter Existenz und nachhaltiger Versorgung, einzuschränken.

Unsere Zukunft ist queer, voller Freiheit und Gleichberechtigung! Packen wir sie an!