Verhütung ist immer noch Frauensache?

Newsletterinput #3 vom 17. Juni 2020
 
Wie Geschlechterdifferenz auch hier im Nachteil für Frauen andere gebärfähigen Menschen steht und sich dies nicht ändern wird, solange wir nicht als Gesellschaft über das soziale Konstrukt der Geschlechterdifferenz hinwegkommen.  
 
„Verhütung ist immer noch vermehrt Frauensache! Das wird vollkommen falsch angegangen.“ Beklagte sich letztens eine Freundin von mir.  „Zum einen gibt es tausend Pillen die trotz erheblicher Nebenwirkungen alle durchgewunken werden.  Zum anderen sind wir, seitdem das Zepter der Verhütung den Männern abgenommen wurde und dies auch ein erster Erfolg war, einfach an dem Punkt stehen geblieben und haben dadurch wiederum eine Verschiebung der Verantwortung geschaffen!“ schimpft sie.
 
Ende der 60er-Jahre kam mit der Pille die Revolution des weiblichen Sexuallebens und körperlicher Selbstbestimmung.  Seitdem hat sich in der Forschung und auch in den Geschlechterrollenbildern einiges verändert. 
Die „Pille für den Mann“ war geplant, die Forschung ist aber aufgrund der Nebenwirkungen immer wieder ausgebremst, statt vorangetrieben worden. In einem Interview zu diesem Thema sagte Fabian Hennig, Doktorand für Kontrazeptionspolitik und Geschlechterdifferenz:
„Hier zeigt sich ein geschlechtlicher Doppelstandard: das, was bei Frauen als akzeptabel gilt, wird bei Männern verworfen. Und das führt sogar zum Abbruch effektiver Studien.“
 
In der Forschung zu Verhütungsmitteln bei Frauen wurde einiges erreicht, jedoch nur weil es eine aktive gesellschaftliche Bewegung gab, die mit ihren Forderungen dieses Thema in den politischen Diskurs gebracht hat. Diese Bewegung bleibt in Bezug auf Verhütungsmethoden für den Mann aus – ein Symptom der gesellschaftlich verankerten Verantwortungsverschiebung in Fragen der Verhütung. Die Folge ist, dass standardisierte weibliche Verhütung nicht mehr kritisch hinterfragt wird.
Vor allem muss in diesem Kontext auch das Gesamtkonzept der Geschlechterdifferenz weiter im Gespräch bleiben. Männern werden männliche Eigenschaften zugeschrieben, wo mögliche Stimmungsschwankungen, eine verringerte Libido und eingeschränkte Potenz keinen Platz finden. Bei Frauen ist das aber akzeptiert und in Ordnung?
Das ist die Frage die aktuell bleiben muss und immer auch dazu führen sollte, dass der Begriff der Geschlechterzugehörigkeit immer mehr ein Ausdruck der individuellen Persönlichkeit wird und es eben nicht das Ende dieses Prozess‘ sein kann, einer konstruierten Verallgemeinerung wie: „Männer kommen mit Stimmungsschwankungen nun mal nicht klar.“  zu folgen. 
Es geht darum, Geschlecht als individuelle Eigenschaft anzuerkennen und Geschlechtsidentität nicht der Erklärung und Legitimation ungleicher gesellschaftlicher Positionen zu Grunde zu legen. 
Dieses Thema muss noch vehementer diskutiert und kritisch betrachtet werden. Die gesellschaftlich etablierte Vorstellung einer angeborenen und binären Geschlechtlichkeit muss angefochten werden. Dies würde auch Themen, die der Ungleichheit zu opfer fallen- wie Verhütung – zugutekommen!
 
Das Profitinteresse der Pharmaindustrie ist ein weiterer Aspekt der Ungleichheit. Neben ihrem Einfluss auf die Forschung findet sich darin auch die Begründung für einseitige Aufklärung und dem Umstand, dass Verhütungsmittel nicht kostenlos sind und außer dem Kondom keines frei zugänglich ist. 
Das ist und bleibt untragbar. 
 
 
Quellen und weitere Infos:
 
– Warum gibt es kaum Verhütungsmittel für Männer? (Detektor FM, 14.5.2020) https://detektor.fm/wissen/zurueck-zum-thema-verhuetung
 
– Schalter im Hoden: Was sind neue Verhütungsmittel für den Mann? (Y-Kollektiv, 14.5.2020) https://youtu.be/4GtZd4wCX8k