Was gut war: Ein feministischer Jahresrückblick

Newsletterinput #8 vom 28. Dezember 2020
 
“Sie pflegen die Kranken, sie kümmern sich um die Kinder, sie verkaufen die Lebensmittel – neu ist nur das Wort dafür: Systemrelevant.” Unter der Überschrift “Wie Frauen den Laden schmeißen”, versammelt DIE ZEIT in der Ausgabe vom 07. Dezember 2020 Texte, die in gewisser Weise die Systemrelevanz von oftmals von Frauen* ausgeübten Tätigkeiten betrachten. Und tatsächlich hat das Corona-Jahr 2020 einmal mehr gezeigt, wer die relevanten Systemträger*innen tatsächlich sind: Frauen, bzw. weiblich gelesene und/oder sozialisierte und genderqueere Menschen.
Mensch würde meinen, dass ein solches Jahr ein regelrechter Backlash für sämtliche feministische Bewegungen hätte sein müssen, tatsächlich wurde aber tapfer weiter gekämpft, debattiert, formiert, gedacht, geträumt und umgesetzt – egal ob maskiert auf der Straße oder zu Hause vor dem Bildschirm über Zoom. 
 
Das Jahr begann mit einem regelrechten feministischen Paukenschlag. Das bereits Ende 2019 verabschiedete Gesetz zur Senkung der sogenannten “Tampon-Steuer” auf den Mehrwertsteuersatz von neunzehn auf sieben Prozent trat ab Januar 2020 endlich in Kraft. Menstruationsartikel werden somit als Grundbedarfs-Artikel eingestuft und nicht wie zuvor – gleichzusetzen mit Schnittblumen und Kaviar – als Luxus! 
Aber da geht noch mehr! Erfreuliche Nachrichten aus Schottland zeigen, wie es auch gemacht werden kann. Dort sollen Perioden-Produkte in Zukunft kostenlos in öffentlichen Einrichtungen zur Verfügung stehen. Dies ist ein wichtiger Schritt gegen Periodenarmut, der auch hierzulande einiges bewegen könnte.
 
Im März brachte uns der Frauen*kampftag zusammen und wir konnten wichtige Gedanken gemeinsam auf die Straße tragen. Es sollten viele Kennenlerntreffen, Plena, Stammtische und Aktionen folgen, die uns dieses Jahr sehr bereichert haben. Ein besonderer Dank geht an die Sexarbeiter*innen und die Mitarbeiter*innen der Beratungsstelle ara, die uns wichtige Einblicke in ihre Arbeit gewährten und nicht müde wurden die – durch Corona befeuerten – Hürden anzusprechen, die ihnen sowohl von der Gesellschaft als auch der Politik entgegen gebracht werden. Danke für eure so wichtige (Bildungs-)Arbeit und euren Kampf!
 
Kaum ein Video ging in Deutschland so viral und sorgte für so viel Diskussionsstoff wie das am 13. Mai zur Primetime auf ProSieben gesendete Video “Männerwelten”. Produziert von Joko Winterscheidt und Klaas Heufer-Umlauf machte der 15-minütige Kurzfilm u.a. mit vielen bekannten weiblichen (feministischen) Stimmen aus der deutschen Medienlandschaft auf sexualisierte Gewalt aufmerksam und wurde in kürzester Zeit zu einem der meistgeklickten Videos im deutschen Kontext. Obwohl das Video viele Frauenstimmen zu Wort kommen lässt, wird eine intersektionale Sichtweise und somit der Weitblick für diverse Lebensrealitäten und Problemlagen, sowie Gewalterfahrungen völlig vernachlässigt. So kommen bis auf einige wenige Ausnahmen vor allem weiße, heterosexuelle, able-bodied, privilegierte Cis-Frauen zu Wort. Auch die Zusammenarbeit mit der z.T. transfeindlichen Organisation “Terres des Femmes” und in der Vergangenheit liegende sexistische Äußerungen von Joko und Klaas wurden im Nachgang stark kritisiert. Verständlicherweise!
Fest steht jedoch, dass es der Kurzfilm geschafft hat, ein höchst relevantes Thema vor ein breites Publikum zu bringen und die Debatte um Sexismus und sexualisierte Gewalt gegen Frauen* neu aufzumischen.
 
Die Sommermonate werden für weiblich gelesene Personen im öffentlichen Raum oftmals zur Tortur, sobald übergriffige Männer meinen ungefragt Kommentare ablassen zu müssen oder im schlimmsten Fall, sogar körperlich übergriffig werden. Umso erfreulicher ist im Juli – und somit pünktlich zur Belästigungs-Hochsaison – die Nachricht, dass “Upskirting” (also das ungefragte Fotografieren unter den Rock oder in den Ausschnitt) strafbar werden soll. Mit dem, vom Bundestag beschlossene Gesetz, das vorsieht solche als sexuelle Übergriffigkeiten (eine Zeit lang wurde diskutiert, ob es sich lediglich um die Verletzung der Bildrechte handele!!!) eingestuften Delikte, in Zukunft mit einer Geldstrafe bzw. Haftstrafe von bis zu zwei Jahren zu ahnden, wird diese “Ordnungswidrigkeit” nun als Belästigung und traumatisierender Akt verstanden – endlich auch vom Gesetzgeber!
 
Mit der US-Wahl im November wird ein alter weißer Mann vom nächsten abgelöst, jedoch scheint die ganze (feministische) Welt vor allem Augen für die zukünftige Viezepräsidentin Kamala Harris zu haben. Tatsächlich hat in der gesamten US-Geschichte noch nie eine Frau ein solch hohes politisches Amt bekleidet. Die Juristin ist gleichzeitig auch die erste Schwarze und Frau* mit transkultureller Identität, die diese Position inne hat. Eine Vielseitigkeit, die sich hoffentlich auch in Harris’ Politik widerspiegeln wird!
 
Das Jahr 2020 war geprägt von zahlreichen Protestbewegungen, die unter schwersten Bedingungen stattfanden, jedoch weltweit ganze Wellen der Solidarität ausgelöst haben.  Begonnen mit den internationalen “Black Lives Matter” Bewegungen im Mai (auch dies ist eine wichtige feministische Zäsur, denn feministische Bewegungen sind niemals ohne den Kampf gegen Rassismus zu denken, sind es doch vor allem Schwarze Frauen die unter patriarchalen Machtstrukturen in besonderer Weise leiden), über die Frauen*bewegungen in Mexiko (bereits im März diesen Jahres zogen zehntausende Frauen* und solidarische Menschen auf die Straße, um ihre Wut über sexualisierte Gewalt an Frauen* und Frauen*morde zum Ausdruck zu bringen. Im September lebte die, zeitweise durch Corona in digitale Räume verlagerte, Protestbewegung auch auf der Straße wieder auf und Aktivist*innen setzten vor allem mit der Besetzung der nationalen Menschenrechtskommission ein Zeichen) bis hin zu den Protesten, gegen die Verschärfung des, ohnehin restriktiven, Abtreibungsrechts in Polen, welches einem Abtreibungsverbot gleich käme. Organisiert vom “Gesamtpolnischen Frauenstreik” entwickelten sich die Demonstrationen zu den größten der letzten dreißig Jahre der polnischen Geschichte und trugen die Debatte über Frauen*rechte und ein Recht auf Selbstbestimmung über Ländergrenzen hinweg. In den Sozialen Netzwerken zeigten sich vor allem Menschen aus ganz Europa solidarisch mit den polnischen Frauen* und setzten sich gegen diesen massiven Rückschritt ein. Bis heute dauern die Proteste an und haben sich mittlerweile auch zu einem Aufstand gegen die rechtskonservative polnische Regierung, welche mittlerweile autoritäre Züge annimmt, entwickelt. 
 
Ein besonderes Highlight war für uns die Vorbereitung der Kampagne #SchweigenBrechen zum 25. November, dem “Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen”. Die Online-Videokampagne ließ viele betroffene Frauen* auf unseren Social Media Kanälen (Instagram: @feministische_vernetzung_trier; Facebook: Feministische Vernetzung Trier) zu Wort kommen. Ein wichtiger Schritt im Prozess der Heilung und Selbstermächtigung Betroffener, und gleichzeitig ein wichtiges Werkzeug um öffentlich auf, oftmals von der Gesellschaft unbeachteter, Verbrechen aufmerksam zu machen! 
 
Obwohl die Pandemie in diesem Jahr ein ständiger Begleiter war, hat sie es nicht geschafft uns und unsere Anliegen ins Hinterzimmer zu verbannen – auch wenn ein räumliches Zusammentreffen oftmals schwer bis unmöglich war. Sie hat Missstände umso deutlicher vorgeführt und uns einmal mehr zu Krisenmanager*innen gemacht. Auch wenn wir dieses Jahr viel erreicht haben, wird 2021 neue Herausforderungen und Kämpfe mit sich bringen. Bis dahin – bleibt mutig, solidarisch und gesund! Fight on!