Türöffner für alle? Feminismus & Männlichkeit

 
Newsletterinput #11 vom 01. April 2021
 
Anmerkungen
Zum Inhalt: In diesem Text möchte ich über persönliche Erfahrungen berichten, wie cis Männer unter Rollenbilden leben oder leiden. Richtig – es geht um Sexismus gegen Männer. Da es leider ein paar Strömungen wie Incel (Involuntary celibacy – unfreiwilliges Zölibat) und andere Männergruppen gibt, die das Wort Sexismus völlig verdrehen und häufig in extremer Misogynie münden, ist an dieser Stelle eine starke Abgrenzung nötig und hiermit erfolgt. Ich finde aber, dass eine reflektierte Auseinandersetzung mit allen Diskriminierungsformen notwendig ist, um Zusammenhänge aufzudecken und dann gemeinsam alle gleichzeitig anzugehen. Ich möchte nicht zulassen, dass frauenfeindliche Gruppen den Ausdruck „Sexismus gegen Männer“ mit ihrer Idiotie für sich besetzen – zumindest nicht ohne ordentlich Gegenwind! Deshalb widme ich mich heute diesem Thema, nicht zuletzt mit dem Versuch, den genannten Ausdruck zu reclaimen.
 
Zur Wortwahl: ‚Frauen* ‚ bezeichnet in diesem Text cis und trans Frauen sowie transfeminine und alle Personen, die im öffentlichen und privaten Raum weiblich gelesen werden und somit spezifische sexistische Erfahrungen machen. ‚Frauen‘ und weibliche Bezeichnungen ohne * meint in diesem Text cis Frauen. ‚Männer* ‚ bezeichnet in diesem Text cis und trans Männer sowie transmaskuline und alle Personen, die im öffentlichen und privaten Raum männlich gelesen werden und somit spezifische sexistische Erfahrungen machen. ‚Männer‘ und männliche Bezeichnungen ohne * meint in diesem Text cis Männer.
 
Am 08. März war auch dieses Jahr wieder der ‚Feministische Kampftag‘. Menschen auf der ganzen Welt sind auf die Straße gegangen, um für gleiche Rechte für Frauen* einzustehen: gleiche Arbeit, gleiche Chancen, gleiche Bildung, gleicher Lohn, gleicher Respekt, gleiche Behandlung. Und dafür gibt es leider immer noch viel zu viele Gründe.
 
Wir wissen zum Beispiel, dass Frauen und weiblich gelesene Personen weniger ernst genommen werden, wir wissen, dass Menschen mit tieferen Stimmen mehr Respekt entgegen gebracht wird. Wir wissen, das Margaret Thatcher extra ein Stimmtraining gemacht hat, um ihre Stimme tiefer klingen zu lassen (https://www.sozusagen.at/starke-stimmen-margaret-thatcher/). Wenn wir Freund:innen ärgern wollen, weil sie sich zu Unrecht aufregen, nutzen viele gerne „Mimimimimi“ in einem sehr hohen Ton, um sich darüber lustig zu machen und „nervige“ Frauen im TV werden gerne mit einer schrillen Stimme ausgestattet.
 
Wir wissen, dass es einen massiven Zuwachs an häuslicher Gewalt, während der Corona-Pandemie gab und gibt und zu wenig Frauen*häuser und Beratungsstellen zur Verfügung stehen.
 
Wir wissen, dass die Täter:innen von häuslicher Gewalt, von „Beziehungsmorden“ überwiegend männlich sind (90:10 – Quote). Wir wissen, dass Frauen* nicht unbedingt aus Eitelkeit lange überlegen, was sie anziehen sollen, sondern, weil sie abwägen müssen, wie viele Anmachsprüche oder Beleidigungen sie heute ertragen können – wir wissen auch, dass Klamotten das nicht beeinflussen. Cat-Calling ist eine massive Belastung im Alltag vieler Frauen* und stellt nur die Spitze des Eisbergs dar, unter der sich tätliche Übergriffe bis hin zu Vergewaltigungen im öffentlichen Raum verbergen. Wir wissen auch, dass ein Großteil dieser Straftaten aus Scham oder Angst nicht mal angezeigt werden und dass Frauen* auch mit guter Beweislage nicht unbedingt auf einen guten Verlauf der Gerichtsverhandlungen hoffen können.
 
Wir wissen, dass Frauen* öfter alleinerziehend sind, in heterosexuellen Partnerschafen und Familien den Großteil der Care-Arbeit übernehmen und dabei tendenziös in schlechter bezahlten Berufen tätig sind. Das alles wissen wir und wir wissen immer noch zu wenig darüber und all das sind enorme, ernstzunehmende Probleme, die konsequent bekämpft werden müssen. Darüber sind sich mittlerweile viele Menschen einig. Aber wie? Was wollen wir eigentlich? Gleichheit? Equality? Meinen wir damit „so wie Männer“? Wollen wir wirklich gleich behandelt werden?
 
Frauen* werden schon nicht ernst genommen, wenn sie von sexuellen Übergriffen gegen sich berichten. Männer noch weniger. Einen Bekannten von mir hat eine ältere Frau versucht zu vergewaltigen. Er konnte sich wehren und der Situation entkommen. Natürlich ging es ihm danach nicht gut, aber als er sich einem Freund anvertraute, lachte dieser. So nach dem Motto, wie horny kann eine Frau denn sein. Nach dem Motto, wenn sie hübscher gewesen wäre, wäre das doch geil gewesen. Es wurde überhaupt nicht ernst genommen, dass das eine kritische, übergriffige und gefährliche Situation war. Mir erzählte er diese Geschichte mehrere Jahre später und sagte mir dann, dass ich die erste Person wäre, die sich nicht darüber lustig gemacht hat. Wir wissen noch weniger über sexuelle Übergriffe gegen cis Männer, da die Hemmschwelle zur Anzeige/ Veröffentlichung noch höher liegt als bei Frauen* und nicht-cis Männern.
 
Generell herrscht das Bild in der Gesellschaft, dass Männer ja sowieso immer Sex wollen. Das sorgt dafür, dass solche Situationen nicht ernst genommen werden und baut bei Männern im Schlafzimmer auch enormen Druck auf. Viele Filmszenen repräsentieren dieses Bild vom immerzu sexbereiten Mann. Ein „Nein“ seinerseits wird nicht ernst genommen (z.B. am Anfang des Films „Holidate“) und das Klischee wird von der schlecht geschriebenen weiblichen Figur bedient, die ihn am Ende trotzdem „verführt“. Konsens sollte auch umgekehrt gelten. „Nein heißt Nein“ und „Nur Ja heißt Ja“ – diese enorm wichtigen Prinzipien müssen auch für Männer gelten!
 
Werfen wir den Blick nochmal auf Familie: Mein Vater erzählt immer, dass er, wenn er früher mit uns auf dem Spielplatz war, von den sonst ausschließlich Müttern*, sehr kritisch beäugt wurde. Jede seiner Reaktionen wurde auf die Goldwaage gelegt. Kann der mit seinen Kindern umgehen? Was macht er, wenn sie jetzt weint? Schafft der das wirklich ohne seine Frau? Wenn wir mal wo anders waren, im Urlaub, auf dem Campingplatz, wurde er von Fremden sehr genau beobachtet. Ob das denn da wirklich der Vater ist? Oder doch ein Mitschnacker? Ein Perverser? Solche Probleme hatte meine Mutter nie.
 
In manchen Familien und Kulturen kann sich der Mann schlichtweg nicht gegen den Beruf und für die Familie entscheiden, ohne jeden Respekt und Zugang zur Gesellschaft zu verlieren. Auch die Erwartung an Männer, dass sie „die Versorger“ sein müssen, baut Druck auf und ich kenne genug noch so reflektierte Männer, die es nicht schaffen, sich von diesem Druck ganz loszusagen. Haha, deine Freundin verdient mehr als du. Vermisst du die Arbeit gar nicht? Höhö, gut, dass du heutzutage keine Mitgift mehr zahlen musst, sonst würdest du ja nie eine kriegen. Wie – DU willst später auf die Kinder aufpassen? Mir wurde schon häufiger gesagt, dass ich mal eine tolle Mutter sein werde, aber männliche Freunde haben das vielleicht einmal gehört – nicht jedes Mal, wenn sie etwas Nettes tun. Wenn Männern die Kindererziehung gar nicht erst zugetraut wird, müssen wir uns auch nicht über die bestehenden Rollenverhältnisse wundern. Ein Bekannter von mir erlebt massiven Sexismus am Arbeitsplatz. Er macht seine Ausbildung zum Erzieher im Kindergarten. Wenn ein Kind weint, schneiden ihm Kolleginnen tatsächlich den Weg ab, um vor ihm da zu sein, weil sie damit „besser umgehen können“ und öfter wird seine Interaktion mit den Kindern von ihnen unterbrochen. „Männer können halt nicht so gut mit Kindern“ hört er dauernd. Ihm wird die Fähigkeit, ein guter Erzieher zu sein, von seinen Kolleginnen aufgrund seines Geschlechts abgesprochen.
 
Wir wissen auch nicht, wie es ist, als Vater das Sorgerecht zu verlieren. Ich habe mehrere Bekannte und Freund:innen, die nach der Trennung der Eltern bei ihrer, sie misshandelnden Mutter wohnen mussten. In solchen Fällen wird Müttern allerdings eher geglaubt. Richter:innen trauen Vätern Misshandlungen eher zu. Väter sind ja leider auch oft genug Täter gegen die eigenen Kinder. Aber das sind Mütter eben auch. Auch Anschuldigungen gegen Mütter müssen ernst genommen werden.
 
In veralteten Rollenbildern ist der Mann verantwortlich für das Einkommen und die Frau bleibt besser zu Hause. Wir gehen auf die Straße, um dafür zu kämpfen, dass sich Frauen* emanzipieren, ihre Chancen wahrnehmen, ihren Traumberuf ausüben! Wer geht auf die Straße, um darüber zu reden, dass unter diesen Rollen auch Männer* leiden? Nicht ganz so viele. Wenn wir also Gleichbehandlung für Frauen* fordern, wollen wir dann wirklich, als noch schwächer abgestempelt werden, wenn wir Misshandlung erleben? Wollen wir nicht weinen dürfen? Wollen wir keinen Schmerz und keine Schwäche zeigen dürfen? Wollen wir unser Recht auf Kontakt mit unseren Kindern potenziell häufiger verlieren? Wollen wir klischeehaft fünfzig Stunden die Woche arbeiten, erschöpft nach Hause kommen und unsere Kinder kaum sehen?
 
Natürlich nicht. Mir ist auch klar, dass das nicht gemeint ist, wenn wir Gleichheit fordern. Ich möchte auch in keinster Weise das sexistisch begründete Leiden von FLINTA* und queeren Personen herunter spielen. Auch hier gibt es noch massiven Forschungsbedarf. Ich möchte auch nicht verneinen, dass cis Männer in patriarchalen Strukturen in einer Machtstellung sind und in vielen Bereichen besser gestellt sind. Ich möchte aber darauf aufmerksam machen, dass auch Männer unter dem Patriarchat leiden. Ich möchte, dass wir auch dagegen auf die Straße gehen. Ungleichbehandlung aufgrund des Geschlechts ist kein „Frauenproblem“. Deshalb ist es auch schön zu sehen, dass immer mehr Männer für gleiche Rechte für FLINTA* demonstrieren. Aber diese Solidarität sollte in beide Richtungen funktionieren. Wir müssen uns mit der Schwäche und dem Schmerz von Männern genauso auseinander setzen. Alle leiden unter den Rollenbildern und das auf ganz unterschiedliche Arten. Deshalb wünsche ich mir einen inklusiven Feminismus, der alle mitnimmt.