„Selbstbestimmter Geschlechtseintrag für alle Menschen und Verbot von geschlechtsverändernden Operationen an Kindern jetzt!“     

Newsletterinput #14 vom 01. Juli 2021
 
Wir möchten diesmal einen Text zum kürzlich im Bundestag abgelehnten Selbstbestimmungsgesetz teilen, welches das veraltete „Transsexuellengesetz“ ablösen sollte. Zur Entscheidung des Bundestags hier Infos hier: https://www.queer.de/detail.php?article_id=38913
 
Dieser Text wurde auf transinterqueer.org veröffentlicht. Wir haben den Text wegen dem E-Mail-Format etwas gekürzt; der ganze Text kann hier mit Fußnoten und zusätzlichen Links gelesen werden:
 
„Selbstbestimmter Geschlechtseintrag für alle Menschen und Verbot von geschlechtsverändernden Operationen an Kindern jetzt!“     
                                               
Wir fordern: Selbstbestimmter Geschlechtseintrag für alle Menschen und Verbot von geschlechtsverändernden Operationen an Kindern jetzt!
Wir begrüßen den Vorschlag der Grünen für ein Selbstbestimmungsgesetz, das eine Änderung des Geschlechtseintrags per Antrag und Selbstaussage ermöglichen soll. Der Gesetzentwurf sieht die Abschaffung des veralteten und an vielen Stellen verfassungswidrigen „Transsexuellengesetzes“ (TSG) vor. Außerdem soll endlich ein dringend notwendiges Verbot jeglicher geschlechtsverändernder Operationen an Kindern eingeführt werden.
 
Hintergrund: 
Das TSG stammt aus dem Jahr 1980; wesentliche Teile darin wurden in mehreren Urteilen des Bundesverfassungsgerichts für verfassungswidrig erklärt. Nach dem Verfassungsgerichtsurteil aus dem Jahr 2017, mit dem die Gesetzgeber_in aufgefordert wurde, einen positiven Geschlechtseintrag für Menschen zu schaffen, die sich außerhalb eines binären Geschlechtssystems verorten, trat 2018 mit dem PStG §45b eine enttäuschende Minimallösung in Kraft, die weiter an einer medizinischen Begutachtungspflicht festhält. […] Es ist höchste Zeit, [die politische Debatte zur Abschaffung des TSG] wieder in Gang zu setzen. […]
 
Das enthält der aktuelle Gesetzesvorschlag:
 
Abschaffung des TSG + Gerichtsverfahren:
Mit der Abschaffung des TSG würde auch die Notwendigkeit für ein Gerichtsverfahren zur Änderung von Personenstand und Vornamen entfallen. Das 2018 verabschiedete Gesetz zur Änderung der in das Geburtenregister einzutragenden Angaben nach § 45b Personenstandsgesetz würde dahingehend verändert, dass alle Menschen Personenstand und Vornamen nach Selbsterklärung ändern könnten. Voraussetzung wäre die deutsche Staatsangehörigkeit oder Aufenthaltserlaubnis in Deutschland. Der Vorbehalt, dass Menschen ohne deutschen Pass zur Änderung des Geschlechtseintrags nachweisen müssen, dass im Heimatland keine vergleichbare Regelung existiert, würde entfallen. […]
 
Anspruch auf Gesundheitsleistungen 
Der Entwurf sichert trans* und inter* Personen zu, über geschlechtsangleichende Operationen sowie Hormontherapie selbstbestimmt zu entscheiden und diese als Leistungen der Krankenkassen in Anspruch nehmen zu können. Er sieht eine Neuregelung des Leistungsumfangs und der Anspruchsberechtigten durch den Gemeinsamen Bundesausschuss vor, in den Interessenverbände einbezogen werden müssten.
 
Verbot von OPs an Kindern
Der Gesetzesvorschlag sieht ein Verbot von medizinisch nicht notwendigen genitalverändernden Operationen an Kindern vor. Operationen an Kindern unter 14 Jahre sollen nur erlaubt sein, wenn sie zur Abwendung einer Gefahr für das Leben oder einer erheblichen Gefahr für die Gesundheit des Kindes erforderlich sind. Wir begrüßen die […] Präzisierung: „Nicht zwingend notwendig ist der Eingriff auch, wenn er aufgeschoben werden kann, bis das Kind sich selbst dazu äußern und in die Entscheidung einbezogen werden kann.“
Ab einem Alter von 14 Jahren können genitalverändernde Operationen auf Wunsch des vollumfassend informierten Kindes und mit der Zustimmung der Sorgeberechtigten durch das Familiengericht genehmigt werden. In der Begründung (zu § 3 auf Seite 17) wird konkretisiert, dass eine solche Genehmigung nur erteilt werden darf, wenn eine Beratung des Kindes stattgefunden hat. Daraufhin wird wiederum klargestellt: „Damit ist nicht die bei jedem Eingriff notwendige ärztliche Aufklärung nach § 630e BGB gemeint, sondern eine ergebnisoffene spezifische Beratung in Bezug auf den Umgang mit seinen körperlichen Geschlechtsmerkmalen, wie sie auch in der S2k-Leitlinie Varianten der Geschlechtsentwicklung in der gültigen Fassung vorgesehen ist. Außerdem muss sichergestellt werden, dass eine Beratung immer auch von den Eltern getrennte Beratungseinheiten umfasst, denn das Kind bedarf eines von den Personensorgeberechtigten unabhängigen Reflektionsraums, um möglichem familiären Druck zu begegnen.“
 
Auch wir möchten die außerordentliche Wichtigkeit von Peer-Beratung unterstreichen, wie sie bereits in den hier erwähnten Leitlinien mehrfach empfohlen wird. Eine vollumfassende Beratung muss neben medizinischen Aspekten und Perspektiven in jedem Fall auch psychosoziale und menschenrechtliche Hintergründe und Zusammenhänge mitdenken. […] Damit flächendeckend umfassend informierte Entscheidungen getroffen und kompetente Beratung stattfinden kann, müssen Familienrichter_innen, Verfahrensbeistände, Mediziner_innen und Berater_innen durch Selbstvertretungsorganisationen hin zu einem wertschätzenden, Vielfalt anerkennenden und entpathologisierenden Ansatz geschult werden.
Im Vergleich zu dem zuletzt vom Ministerium für Justiz und Verbraucherschutz vorgelegten „Entwurf eines Gesetzes zum Schutz von Kindern vor geschlechtsverändernden operativen Eingriffen“, der zahlreiche, menschenrechtlich nicht tragbare Ausnahmen definierte, würde das Selbstbestimmungsgesetz erfreulicherweise ein weitaus umfassenderes Verbot aussprechen. Operationen, die ohne dringende medizinische Notwendigkeit durchgeführt werden, stellen – unabhängig vom bei Geburt zugewiesenen Geschlecht – einen gewaltsamen Eingriff in die körperliche und psychische Integrität von Kindern, sowie eine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung dar. Ein Verbot dieser Eingriffe fordern wir zusammen mit vielen anderen Selbstvertretungsorganisationen schon lange. […]
 
Umfassendes Offenbarungsverbot
Der Gesetzentwurf sieht ein umfassendes Offenbarungsverbot vor, welches staatliche und nichtstaatliche Stellen verpflichtet, Zeugnisse und andere relevante Dokumente nach einer Änderung von Personenstand und/oder Vornamen neu auszustellen. Der frühere Geschlechtseintrag und/oder die früheren Vornamen dürften nicht ohne Zustimmung der betroffenen Person offenbart werden. Verstöße könnten mit Geldstrafen geahndet werden.
 
Ausbau von Beratungsangeboten
Der Anspruch auf eine ergebnisoffene Beratung zur Geschlecht(sidentität) soll gesetzlich verankert werden. Im Entwurf ist vorgesehen, das Angebot an Beratungsmöglichkeiten auszubauen und Träger zu fördern, die bereits mit trans* und inter* Communities zusammenarbeiten.
 
Elternschaft
Personen, die nach § 45b PStG ihren Personenstand und/oder ihre(n) Vornamen geändert haben, sollen sowohl in der Geburtsurkunde wie im Geburtenregister ihrer Kinder mit dem richtigen Namen und Geschlechtseintrag geführt werden. […] In der Vergangenheit haben trans*, inter* und nicht-binäre Personen immer wieder dafür gekämpft, rechtlich entsprechend ihrer Geschlechtszugehörigkeit als Vater oder Mutter anerkannt zu werden. Bislang ist uns dazu in Deutschland kein erfolgreicher Fall bekannt. Das geltende Recht definiert die Person als Mutter, die gebärt.
 
Der Vorstoß der Grünen leistet einen wichtigen Beitrag, die politische Debatte um die Rechte von inter* und trans* Personen wieder in Gang zu bringen. Er adressiert viele wichtige Regelungsbedarfe, auf die TrIQ schon seit langer Zeit hinweist und würde die rechtliche Situation von inter* und trans* Menschen in Deutschland deutlich verbessern.  Es ist höchste Zeit, dass der Artikel 1 des Grundgesetzes – „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ – auch endlich für uns gilt und Menschenrechtsverletzungen gegen inter* und trans* Personen durch den deutschen Staat beendet werden.