Redebeitrag zum internationalen Tag gegen Rassismus am 21.03.2022

Vorweg zwei Begriffsklärungen. Ich werde hier von „rassisierten Menschen“ und „FLINTA“ sprechen. „Rassisierte Menschen“ meint alle Menschen, die von Rassismus betroffen sind. Das heißt alle, die nicht weiß sind. Mit dem Begriff drücken wir aus, dass Rasse keine Eigenschaft ist, die bei Menschen gegeben ist, sondern eine Konstruktion, die ihnen aufgedrückt wird. Weil in unserer Gesellschaft Weißsein als Norm gilt, sind weiße Menschen nicht in dem Sinne rassisiert. „FLINTA“ meint Frauen, Lesben, Intersex, Nichtbinäre, Trans und Agender Menschen und ist ein Sammelbegriff für alle Menschen, die aufgrund ihres Geschlecht oder Gender im Patriarchat unterdrückt werden.

Als Feministische Vernetzung ist eines unserer wichtigsten Grundsätze die Intersektionalität. Das bedeutet, wir denken dass keine Unterdrückungsachse gesondert von allen anderen verstanden werden kann. Sexismus und Rassismus zum Beispiel existieren nicht parallel zueinander, sondern bilden ein ineinandergreifendes System. Deswegen ist es notwendig, das Ganze zu betrachten statt sich nur auf eine Achse zu fokussieren. Dieser Ansatz wird in der allgemeinen feministischen Bewegung dringend gebraucht. Denn rassistisches Denken ist tief in der Geschichte des westlichen Feminismus verwurzelt. Wie kann es sein, dass Simone de Beauvoir, eine absolut zentrale Figur in der Begründung des Feminismus, behaupten konnte, Frauen seien mehr marginalisiert als Schwarze Sklaven, weil diese immerhin „arbeiten durften“? Dass die bekannteste feministische Zeitschrift im deutschsprachigen Raum, die Emma, immer wieder für ihren Rassismus kritisiert wird und es dennoch nie zum Anlass nimmt, die eigenen Positionen zu hinterfragen? Weiße Feminist:innen sträuben sich davor, Rassismus, Antisemitismus, Islamophobie und andere Unterdrückungsstrukturen zu thematisieren. Sie betrachten Sexismus und Patriarchat als tiefgreifender und universeller, und reden die Notwendigkeit antirassistischer Kämpfe klein. Sie formulieren feministische Forderungen, aber meinen damit bewusst oder unbewusst nur die Interessen von deutschen weißen Mittelschichtsfrauen. Unsere feministische Analyse muss differenzierter werden, um nicht in unhinterfragten Ethnozentrismus zu verfallen. Behauptungen über die Allgemeingültigkeit von Sexismus ignorieren, dass die westliche Konstruktion von Weiblichkeit eng mit Weißsein zusammenhängt. Weiße Frauen gelten als zerbrechlich und rein. Das kommt ihnen zugute. Weiße Männer werden unter anderem dadurch ermutigt, ihre eigene toxische Männlichkeit aufrechtzuerhalten, indem sie diese weißen zerbrechlichen Frauen schützen – auch vor rassisierten Männern.

Auch wenn es um konkrete Forderungen geht, fallen weiße Feminist:innen ihren rassisierten Geschwistern oft in den Rücken. In Frankreich wird in der sogenannten Schleier-Debatte feministische Rhetorik vorgeschoben, um Muslim:innen zu unterdrücken und aus vielen Sphären der Gesellschaft auszuschließen. Schleier seien ein Symbol patriarchaler Unterdrückung, meint der Gesetzgeber, daher verbieten wir verschleierten Muslimas in die Schule zu gehen, in Krankenhäusern oder Behörden zu arbeiten. Und das kommt vielen weißen Feminist:innen logisch und schlüssig vor! Die reale Gewalt und Diskriminierung, der FLINTA überall auf der Welt ausgesetzt sind, wird sowohl von Rechten wie auch von manchen Teilen der Linken als Vorwand für rassistische Rhetorik benutzt. Femizide zum Beispiel werden je nach Kultur ganz unterschiedlich dargestellt: Wenn in Pakistan grauenhafte Ehrenmorde verübt werden, werden sie der pakistanischen Kultur angelastet. Doch dass in Deutschland alle drei Tage ein Mord durch einen gewalttätigen Partner oder Expartner verübt wird, wird nicht der deutschen Kultur angelastet. Stattdessen werden diese Femizide zu Einzelfällen verklärt. Weiße feministische Rhetorik über sexistische Praktiken wie Ehrenmorde, Zwangsheirat oder Genitalbeschneidung benutzt oft Wörter wie „rückständig“ oder „barbarisch“ und beschreibt damit andere Kulturen als fremdartig und minderwertig. Es muss doch möglich sein, widerliche patriarchale Gewalt anzuprangern ohne dabei rassistisch zu sein!

Wie können wir es besser machen? Wie können wir weiße FLINTA unseren Feminismus solidarischer und antirassistischer machen? Unsere Unterdrückungserfahrung hat uns ein reiches Arsenal an Wut gegeben. Diese können wir im Kampf gegen Rassismus nutzen. Das bedeutet aber auch, dass wir rassisierten FLINTA den Raum lassen müssen, ihre Wut auszudrücken, in einer Welt, in der die Wut von rassisierten Menschen, vor allem von Schwarzen Menschen, oft als Aggression konstruiert wird. Die Schwarze Feministin Audre Lorde erklärte ihren weißen Mitkämpferinnen: „Ich kann meine Wut nicht verstecken, bloß um euch Schuldgefühle, Verletzungen oder eure eigenen, wütenden Gegenreaktionen zu ersparen.“ Wir weiße FLINTA müssen lernen, unsere Privilegien gegenüber rassisierten FLINTA anzuerkennen. Die Bedürfnisse rassisierter FLINTA nicht ausklammern. Lernen, zuzuhören, statt in Abwehr zu gehen. Nur so können wir Antirassismus in unsere feministische Praxis integrieren.

In den Worten von bell hooks: Eine feministische Bewegung, die weiterhin rassistisch ist, ist eine reine Augenwischerei, ein Deckmantel für die fortwährende Unterwerfung unter patriarchalische Prinzipien und die passive Hinnahme des Status quo. Solidarität muss praktisch werden!