Kolonialismus und Klimakrise

Newsletterinput #25 vom 03. Mai 2022
 
Wir stehen mitten in der menschengemachten Klimakrise. Das 1,5°C Ziel rückt weiter in unerreichbare Ferne und laut dem Weltklimarat-Bericht 2022 (*) steuern wir zum Ende des Jahrhunderts auf eine Erderwärmung von 3°C zu. Die Zeit zu handeln ist JETZT! Um die Klimakrise zu verlangsamen und abzuschwächen bräuchte innerhalb nur weniger Jahre eine weltweite Wirtschaftstransformation. Besser gesagt: Eine Revolution! 
 
Doch was hat die Klimakrise mit Kolonialismus und seinen Kontinuitäten zu tun? Und welche Narrative können bzw. müssen wir verändern? Darum geht es in diesem Artikel.
 
Triggerwarnung: Rassismus und koloniale Kontinuitäten
 
Vorab: Es ist gut, dass seit ein paar Jahren zig tausend Menschen als Fridays for Future, Ende Gelände, Extinction Rebellion oder anderen Klimagruppen auf die Straßen gehen. Doch wenn wir uns angucken, wer dort demonstriert und welche Perspektiven und Stimmen gehört werden, dann sehen wir sehr viele weiße Personen. Schwarze Stimmen und Perspektiven werden leider oft übersehen oder bewusst unhörbar gemacht. Das muss sich dringend ändern, denn ohne Überwindung des Rassismus und Kolonialismus werden wir niemals Klimagerechtigkeit erreichen!
 
Narrativ 1: „Wir kämpfen für unsere Zukunft!“
 
Ein häufig benutzter Demospruch auf Klima/Umwelt-Demos lautet: „Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut!“.
 
Doch für viele Menschen auf der Welt ist der Klimawandel kein Zukunftsproblem, sondern bittere Realität! Heute und gestern haben Menschen bereits aufgrund der Klimakrise ihre Lebensgrundlagen, ihr Zuhause oder gar ihre Leben verloren!
Die Folgen des Klimawandels werden zwar in Zukunft noch schlimmer werden, aber wir müssen auch einsehen, dass die meisten von uns zu dem jetzigen Zeitpunkt den Klimawandel losgelöst von Alltag betrachten können. Es geht gerade nicht primär um “uns”, sondern darum, dass ein global verstricktes System an Ungerechtigkeiten,dass im Übrigen zum Großteil von weißen Menschen im Globalen Norden aufgebaut wurde, endlich aufgelöst wird! Wir sollten uns von dem Gedanken verabschieden, dass wir in punkto Klimakrise alle im gleichen Boot sitzen. Denn das tun wir faktisch nicht.
 
Wenn wir für unsere Zukunft kämpfen, dann geht das nur, wenn wir auch für Gerechtigkeit für die Vergangenheit und die Gegenwart auf die Straße gehen und die globalen und lokalen Kämpfe von BIPocs sichtbar machen. Wir können nicht länger nur Fridays for Future sein. Nein, wir sind Fridays for Future, Past and Present! 
 
 
Narrativ 2: „Die Klimakrise hat ihren Ursprung in der Industrialisierung ab 1850.“
 
Wenn wir vom Klimawandel sprechen, dann beginnen wir oft mit der Erzählung um das Jahr 1850 herum. Denn mit Beginn der Industrialisierung wurden vor allem im Globalen Norden bis heute enorm viele Treibhausgase ausgestoßen, die verkürzt formuliert, dafür sorgen, dass es auf der Erde immer wärmer wird.
Doch um zu verstehen, wie es überhaupt soweit kommen konnte, müssen wir viel weiter in die Vergangenheit schauen. Und zwar bis in das 15. Jahrhundert. Denn in diesem Jahrhundert begann der europäische Kolonialismus und die Ausbeutung, die systematische Ermordung, die Versklavung, die Vertreibung von zig-Millionen Menschen in Süd- und Nordamerika, Afrika und Asien, sowie die Zerstörung ihrer Ökosysteme. Um die eigene Gewaltanwendung und Zerstörung legitimieren zu können, wurde der Rassismus erfunden. Schwarze, Indigene und Person of Color, kurz BIPoC, wurden im Gegensatz zu weißen als minderwertig und unterentwickelt dargestellt. Diese natürlich völlig falsche und zu verurteilende Annahme, wurde damals sogar wissenschaftlich belegt. Auch festigte sich in dieser Zeit das strukturelle und ideologische Fundament für den heutigen Kapitalismus. Auch heute nach der offiziellen Unabhängigkeit ehemaliger kolonisierter Länder, sind wir noch lange nicht an einem Punkt der Gleichberechtigung angekommen. Die Machtstrukturen, die europäische Kolonialmächte aufgebaut haben, sind auch bis heute noch wirksam und werden deswegen auch koloniale Kontinuitäten genannt.
 
Die kolonialen Kontinuitäten werden z.B. auch in angeblich „grünen“ Lösungen zur Bekämpfung der Klimakrise sichtbar. Für die Batterien von E-Autos werden u.a. in Kolumbien und Ghana Lithium und Kobalt abgebaut. Und das unter extrem schlechten Arbeitsbedingungen und dem Raubbau an der Natur. Aufgrund solcher Tatsachen können wir uns als Klimabewegung auch nie nur mit technischen Lösungen zufrieden geben. Es geht nicht ausschließlich darum Emissionen einzusparen, sondern darum ein gutes Leben für alle zu schaffen und die sozialen Fragen mitzudenken.
 
 
Narrativ 3: „Greta Thunberg oder andere weiße Personen haben den Protest iniziiert.“
 
Die Länder, Konzerne und Menschen im Globalen Norden sind Hauptverantwortlich für die Klimakrise und die anhaltende Zerstörung von Ökosystemen im Globalen Süden und Ausbeutung von den dort lebenden Menschen! 
Es sind gleichzeitig vor allem BIPoC weltweit, die sich schon lange vor Greta Thunberg oder der “weißen” Klimabewegung für Klimagerechtigkeit und Umweltschutz eingesetzt haben. Seit dem Beginn der Kolonialisierung gab es schon immer Schwarzen und Indigenen Widerstand gegen diese Unterdrückung und es wird ihn auch immer weiter geben!
 
Um nur ein Beispiel zu nennen: Die Zapatistas kämpfen in Chiapas, Mexiko gegen die Unterdrückung durch Kolonialismus, Patriarchat und Kapitalismus. Sie leben in autonomen Zonen und haben sich vom Staat Mexiko unabhängig gemacht. Bei ihrer „Reise für das Leben“ haben sie vergangenes Jahr Europa bereist und linke Projekte, die von „unten“ arbeiten, besucht. Einer ihrer Stops war auch die Waldbesetzung Besch Bleibt in Trier.
 
Übrigens wurden auch Konzepte wie Umwelt- oder Klimagerechtigkeit von BIPocs erfunden und praktiziert. Lest euch dazu auch gerne die unten verlinkten „Bali Principles of Climate Justice“ durch, die 1991 auf dem People of Color Environmental Justice Leadership Summit in Washington, DC, entwickelt wurden
 
Ganz aktuell gibt es von Ende Gelände eine Veranstaltungsreihe zum Thema „Roots of Resistance – Learning from frontline struggles“, wo Kämpfe von BIPoCs weltweit zu Wort kommen unter der Fragestellung was man von Ihnen lernen kann (ist weiter unten verlinkt). 
 
Um nun zum Schluss zu kommen: Es liegt es an uns, den weißen Menschen. Gestehen wir diesen Kämpfen den Raum ein, der ihnen schon lange zusteht und fangen wir an unsere eigenen verinnerlichten rassistischen und kolonialen Denkweisen zu reflektieren. Lasst uns unsere bisherigen Narrative überdenken, unseren Fokus neu ausrichten und Antirassismus zur gängigen Praxis machen.
 
Vielen Dank fürs Lesen und bleibt widerständig! Klimagerechtigkeit Jetzt! 
 
 
Achtung! Dieser Text ist absolut unvollständig und kratzt nur an der Oberfläche. Außerdem wurde er von einer weißen Person geschrieben, die ihr wissen v.a. aus der ersten verlinkten Broschüre hat. Infomaterialen zum weiterinformieren findet ihr in den Empfehlungen.
 
Hörempfehlungen
Podcast-Reihe zu klimapolitischen Debatten und Bewegungen (mal durchstöbern, die haben mehrere spannende Themen auf Lager)
Zum Beispiel Folgen 5,6,28 (die anderen sind aber auch empfehlenswert)
Leseempfehlungen
Broschüre: Kolonialismus & Klimakrise – Über 500 Jahre Widerstand
Mehr Infos zu dem Zapatistischen Widerstand
Bali Principles of Climate Justice (englisch, aber Übersetzung z.B. via https://www.deepl.com/translator möglich)
Vortrag: Schwarze Perspektiven auf die Klimakrise
Linkliste zur Selbstreflexion zum Thema (Anti-)rassismus
Linkliste zum Thema Kolonialismus
 
Videoempfehlung
Vortrag: Roots of Resistance – Learning from frontline struggles