Feministische Arbeitskritik

Newsletterinput #23 vom 07. März 2022
 
Am 8. März wollen wir insbesondere auf geschlechtsbasierte Benachteiligung in der Arbeitswelt aufmerksam machen. Die Zahlen zum Gender Pay Gap sind bekannt: als Frauen erfasste Personen verdienen 18% weniger, verfügen über 23% weniger Vermögen, und haben einen um 53% geringeren Rentenanspruch als die als Männer Erfassten.
Am Beispiel der gläsernen Decke zeigt sich, dass die Benachteiligung von weiblich und queer gelesenen Menschen multikausal verstrickt ist: zu den Ursachen zählen Rollenbilder, die seit der Kindheit vermittelt werden, sowie der ungleiche Zugang zu informellen Netzwerken und Beziehungen. Außerdem spielen hier kulturell verankerte Assoziationen eine Rolle: zum Beispiel sind Zielstrebigkeit und Durchsetzungskraft männlich kodierte Eigenschaften und werden dementsprechend nur männlich gelesenen Personen zugeschrieben. Alle anderen werden bei genau gleicher Verhaltensweise als hysterisch, gefühlskalt, irrational oder machtgierig betrachtet. Das ist eines von vielen Mechanismen, die zu ungleichen Karrierechancen führen.
Ein weiterer gegenderter Faktor ist der Impakt von Kindern auf den Karriereverlauf. Empirische Analysen zeigen, dass ein Erziehungsurlaub sich negativ auf den Einkommensverlauf auswirkt. Bei klassischen heterosexuellen Paaren ist es die Frau, an der ein Großteil der Erziehungs- und Hausarbeit hängen bleibt. Selbst Paare, die vor den Kindern noch recht paritätisch Hausarbeit aufgeteilt hatten, fallen bei Ankunft des Kindes schnell zurück in alte Rollenmuster – meist unterbewusst vom eigenen Elternhaus vermittelt. Hier spielt auch die Mystifizierung von Mutterschaft eine Rolle. Gesellschaftlich ist die Vorstellung noch immer weit verbreitet, dass die Mutterrolle eine nicht ersetzbare Sonderstellung in der Entwicklung des Kindes hat. Das setzt Mütter unter Druck und führt dazu, dass die Verhältnisse sich weiter replizieren. Haus- und Sorgearbeit werden weiterhin als weibliche Sphäre betrachtet.
In Wechselwirkung dazu steht die Bewertung von Haus- und Sorgearbeit als minderwertig. Dies folgt dem allgemeinen Muster, dass prestigebehaftete Tätigkeiten männlich kodiert und niedrig geschätzte Tätigkeiten weiblich kodiert sind. Zum Beispiel galt Computerprogrammieren ursprünglich als uninteressante, stumpfsinnige Arbeit und wurde größtenteils weiblich besetzt. Heutzutage ist sie aber in der allgemeinen Wahrnehmung aufgestiegen als intelligente Kopfarbeit. Seit dieser Neubewertung ist Programmieren höher geschätzt, besser bezahlt… und stark mit Männern assoziiert. Ein anderes Beispiel ist der Unterschied in der Wertung zwischen einem hoch angesehenen Chefkoch, und einer Hausfrau die zu Hause kocht. Zweiteres wird nicht als herausragende Leistung betrachtet, sondern als Erfüllung einer vermeintlich natürlich gegebenen weiblichen Rolle. Der Soziologe Pierre Bourdieu hat diese Naturalisierung der Konstruktion Geschlecht umfassend analysiert. Er erklärt, wie Arbeit sowohl vergeschlechtlicht ist, wie auch vergeschlechtlichend wirkt. So befinden sich Genderrollen und Arbeitswelt in einer sich gegenseitig nährenden Wechselwirkung: es ist unmöglich, eines aufzubrechen und das andere unberührt zu lassen.
Insbesondere professionelle Putzkräfte und Haushaltshilfen sind von geschlechtsbasierter Diskriminierung betroffen: in diesem extrem niedrig angesehenen Sektor werden, wie zu erwarten, weiblich gelesene Menschen bevorzugt. Nicht nur werden sie schlecht bezahlt, in 9 von 10 Fällen arbeiten sie schwarz und somit ohne jegliche Absicherung. Es besteht eine hohe Überschneidung mit migrantischen Arbeitskräften ohne dauerhaften Aufenthaltsstatus, und hohe gesundheitliche Belastung durch körperliche Schwerarbeit und gefährlichen Chemikalien.
Bei der feministischen Betrachtung der Arbeitsgesellschaft darf auch die Auswirkung von Arbeitslosigkeit nicht vergessen werden. Der Ausschluss aus der Gesellschaft und die vermittelte Minderwertigkeit, die Arbeitslosigkeit mit sich zieht, kann ebenfalls nur in Zusammenhang mit dem patriarchalen System verstanden werden – ist die Identifikation mit der Arbeit ja ein zentrales Element männlicher Identität. Es zeigt sich: von jeder Seite betrachtet, sind Arbeitskämpfe und Arbeitskritik ein feministisches Unterfangen.
Historisch betrachtet können drei Stufen der feministischen Arbeitskämpfe herausgestellt werden.
Der erste besteht darin, gleichberechtigten Zugang zu Lohnarbeit zu fordern. Dieser niederschwellige Ansatz reproduziert allerdings patriarchale und kapitalistische Strukturen. Die Forderung ist nur, im jetzigen System zu gewinnen, anstatt diesen grundsätzlich in Frage zu stellen. Historisch gesehen haben weiße Feminist:innen der Mittelklasse einen Arbeitskampf geführt, der für alle anderen im Patriarchat Unterdrückten kontraproduktiv war. Die Schwarze Feministin bell hooks formulierte diese Kritik in den 80er Jahren: während weiße, bürgerliche Feminist:innen Zugang zum Arbeitsmarkt forderten und sich daraus Empowerment erhofften, waren alle anderen: rassisierte Frauen, Migrantinnen, queere Menschen in Partnerschaften ohne klassischen Haupternährer, Sexarbeiter:innen, schon längst im Arbeitsmarkt. Und zwar auf den untersten Stufen der Hierarchie.
Die zweite Stufe feministischer Arbeitskämpfe besteht darin, die Wertung unbezahlter Arbeit zu fordern. In den 70er Jahren versuchten Bewegungen wie Wages for Housework und Lotta feminista durch utopische Forderungen ein allgemeines Umdenken zu erzielen: sie wollten Kleingeredetes Großschreiben. Haus- und Sorgearbeit überhaupt als Arbeit zu benennen, war schon revolutionär.
Doch in dieser Kritik schwingt weiterhin die zugrundeliegende Annahme mit, dass Arbeit inhärent etwas gutes ist. Dies kritisiert die Feministin Kathi Weeks in ihrem Werk „Das Problem mit Arbeit“. Hier setzt die dritte Stufe feministischer Arbeitskämpfe an: Arbeit als ganzes in Frage zu stellen. In der Arbeitswelt wird menschliche Interaktion zur Ware gemacht, automatisiert und robotisiert. Als Arbeitende sind wir von unserer eigenen Zeit und Wirkmächtigkeit entfremdet. Durch die Identifizierung über unsere Beziehung zur Arbeit sind wir schlussendlich auch von uns selbst entfremdet und entmenschlicht.
Eine feministische Arbeitskritik muss an der Wurzel ansetzen, um wirkungsvoll zu sein. Oft vereinnahmen Unternehmen feministische Rhetorik, um Arbeitskräfte produktiver zu machen. Wir sagen: Nicht mit uns!
Wir fordern: nicht nur bessere Arbeitsbedingungen, sondern auch weniger Arbeit! Nicht nur weiblich kodierte Arbeiten sollen neu bewertet werden, sondern jede Arbeit! Die Idee von Faulheit als moralische Kategorie lehnen wir ab. Jede Forderung ist utopisch, bevor sie zur Realität wird. Die Arbeit niederzulegen, ist ein revolutionärer Akt.